Ein Mann kauft auf einem sommerlichen Sonntags-Flohmarkt für lächerlich kleines Geld einen etwa 50 Jahre alten Stadtplan von Paris.
Ihm war, als er ihn dort auf einem Tisch zwischen lauter Krimskrams halb versteckt liegen sieht, die sehr sentimentale Idee gekommen, darin die Orte zu markieren die bei seinem mehrjährigen Aufenthalt dort vor langer Zeit wichtig gewesen waren .. bzw. an denen ihm Dinge zugestossen sind, die in seiner Erinnerung weiterlebten und immer wenn er wollte vor seinen inneren Augen projizierbar waren.
Zuhause schiebt er den Stadtplan in einen dunklen Spalt über die Bücher in seinem Bücherregal und hat ihn am nächsten Tag vollkommen vergessen.
Monate später – es ist inzwischen Herbst und Mitte Oktober – spürt er in seinem Wohnzimmer immer wieder ein seltsames Phänomen: obwohl Fenster und Türen geschlossen sind, meint er zeitweise einen kühlen Luftzug zu verspüren.
Es dauert Tage, bis er den Ursprung ungefähr lokalisieren kann. Es scheint, hinter seinem Bücherregal befinde sich ein zeitweise kühlerer Ort als im restlichen Zimmer: der Effekt eines Luftzugs entstehe immer nur wenn sich die Temperaturen auszugleichen versuchen.
Er fängt an, das Bücherregal an der vermuteten Stelle auszuräumen .. im Zimmer stapeln sich immer mehr Büchertürme ..
Am Ende rückt er das ganze Regal von der Wand um nachzusehen ob sich dort irgendeine Seltsamkeit verbirgt, die für diese Temperaturunterschiede verantwortlich sein muss.
Da ist aber nichts. Nichts als sehr viel grauer Staub.
Er räumt die Bücherstapel hinter sich wieder ins Regal. Dabei fällt ihm der alte Stadtplan von Paris wieder in die Hände und er erinnert sich seines Vorhabens vom Sommer.
Als das Wohnzimmer wieder frei ist, fängt er an den Plan darin auszubreiten.
Doch mit jeder aufgefalteten Seite kommt dahinter eine neue zum Vorschein. Dünner und dünner werden diese Seiten .. während die Stadt Paris noch nicht annähernd ganz abgebildet ist ..
Der Mann wird von dem Gedanken getroffen das Dünner-Werden der Seiten setze sich immer weiter fort und fort .. Und irgendwann werde das Papier so dünn sein, dass es mit den Fingern nicht mehr spürbar und anfassbar sein werde ..
Die freie Fläche seines Wohnzimmers reicht natürlich bei weitem nicht aus, diese riesige Karte vollständig zu entfalten.
Der Mann beschliesst seine Markierungstätigkeit auf einem der bisher zu einem Teil sichtbaren inneren Arrondissements, dem 14th -“Montparnasse”- zu beginnen.
Er beugt sich darüber mit einer Lupe in der Hand und geht auf die Suche nach der Metro-Station “Edgar Quinet”. Er war eines Nachmittags in einer kleinen Straße die darauf zuführte in ein fast leeres Café getreten und hatte sich abseits von der Theke an einen kleinen Tisch mit dem Rücken gegen den Wandspiegel gesetzt.
Während er dann aber mit seiner Lupe knapp über der Karte schwebt und die Umgebung der Metrostation absucht und die Namen der kleinen Straßen umher entziffert fallen ihm plötzlich merkwürdige gelbe Streifen entlang der Gehsteige und Straßen auf.
Er neigt Kopf und Lupe noch ein wenig näher an den Stadtplan heran und bemerkt dann mit grösstem Staunen, dass es sich bei diesen Streifen um zusammengewehtes gelbes Herbstlaub handelt.
Und dann erst bemerkt er, dass auch noch die Bäume entlang des Gehsteigs darauf abgebildet sind .. auf deren Ästen und Zweigen was der Wind noch nicht heruntergeweht hat, noch immer hängt ..
..
Der Mann erschrickt ..
Die Lupe glitt ihm aus der plötzlich kraftlosen Hand und fiel mitten in einen kleinen Berg gelben Laubs .. und war gleich vollkommen darin versunken und verschwunden ..
..
Als sei er selbst ihr hinterher gefallen, wird alles dunkel um ihn ..- aber immer noch hat er den Geruch diese Herbstlaubs in der Nase .. etwas wie altes verwittertes Papier .. Wäsche die seit Wochen vergessen draussen im Garten auf der Leine hängt .. mit dem Geruch hundert mal darauf getrocknetem Frühtau darin.
..
Im nächsten Augenaufschlagen sieht er das Gesicht und die beweglichen Augen und Lippen einer Frau nahe vor sich. Sie sagt: “Puis-je vous aider?” (Kann ich Ihnen helfen?).
..
Er sagt: ”Je vous connais! .. Nn’est-ce pas? .. Je vous connais bien! (Ich kenne Sie! .. Nicht wahr? .. Ich kenne Sie doch!)
___________English_________
A Dream Of The City Of Paris
A man buys a 50 year old map of Paris for ridiculously little money at a summer Sunday flea market.
When he sees it lying half-hidden on a table among all the bits and pieces, he had the very sentimental idea of marking the places that had been important during his several years‘ stay there long ago … where things had happened to him that lived on in his memory and could be projected before his inner eyes whenever he wanted.
At home he slides the city map into a dark slit over the books in his bookshelf and has completely forgotten it the next day.
Months later – it is now autumn and mid-October – he senses a strange phenomenon in his living room again and again: although windows and doors are closed
he thinks he feels a cool breeze from time to time.
It takes days before he can roughly locate the source. It seems that behind his bookshelf there is at times a cooler place than in the rest of the room: the effect of a draught only occurs when the temperatures try to balance each other out.
He starts to clear the bookshelf in the place he suspects … more and more towers of books pile up in the room …
In the end he moves the whole shelf away from the wall to see if there is anything strange hidden there that must be responsible for the temperature differences.
But there is nothing. Nothing but a lot of grey dust.
He puts the piles of books behind him back on the shelf. In the process, the old map of Paris falls into his hands again and he remembers his intention from summer.
When the living room is free again, he begins to spread out the city map ion the floor.
But with every unfolded page a new one appears behind it.
These pages become thinner and thinner … While the city of Paris is not yet almost completely illustrated …
The man is struck by the thought that the thinning of the pages continues and continues …
And at some point the paper will be so thin that it can no longer be felt or touched with the fingers …
Of course, the free space of his living room is by far not enough to unfold this huge map completely.
The man decides to start his marking activity on one of the inner arrondissements, the 14th – „Montparnasse“ – which is partly visible so far.
He bends over it with a magnifying glass in his hand and goes in search of the metro station „Edgar Quinet“. One afternoon, in a small street leading up to it, he had entered an almost empty café and sat down at a small table with his back against the wall mirror.
But while he hovers with his magnifying glass just above the map, searching the area around the metro station and deciphering the names of the small streets around, he suddenly noticed strange yellow stripes along the pavements and streets.
He tilts his head and magnifying glass a little closer to the map and then notices with the greatest amazement that these stripes are yellow autumn leaves blown together.
And only then does he notice that the trees along the pavement are also depicted there … on whose branches and twigs what the wind had not yet blown down still hangs …
..
The man is frightened …
The magnifying glass slipped from his suddenly weak hand and falls into the middle of a small mountain of yellow leaves … and is immediately completely absorbed and disappeared …
..
As if he himself had fallen behind it, its getting dark around him. – But still he has the smell of these autumn leaves in his nose … something like old weathered paper … Laundry that has been forgotten for weeks hanging on the line outside in the garden … with the smell of a hundred times dried early dew in it.
..
Then he opens his eyes and sees a woman’s face and her moving eyes and lips close in front of him. She says: „Puis-je vous aider?“ (Can I help you?).
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He says: „Je vous connais! .. n’est-ce pas? .. Je vous connais bien!” (I know you. Don’t I ? I know you well!!)
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