Café in Kouvola, Finnland. Cinema Orion: „GILLETTE“

Ein finnischer Freund – Juho Peltola – (english downstairs) schickte mir dieses Foto aus einem Café in Kouvola (liegt im Süden Finnlands), wo er vor ein paar Tagen mit seiner Freundin verabredet war. Als er reinkam, fiel ihm als erstes ein Film-Plakat eines Kinos an der roten Rückwand auf, mit dem Porträt einer Frau und dem Name „Gillette“ darunter. Und ohne Zweifel -schreibt er- fiel es ihm auf, weil er kurz zuvor 2 ähnliche Fotos auf unserer Facebook-Seite gesehen hatte – die aus Rapallo und Domodossola stammten.

Bevor ihn die Frau unter der Kapuze vor der Wand bemerkte, hatte er sein Handy raus und schoß das Foto. Einen Augenblick später drehte sie ihren Kopf ihm zu und er erkannte sie.

Es sei eine sehr schwierige Unterhaltung gewesen, sagte Juho, (übrigens, -bevor ichs vergesse-), der Sohn von Markku Peltola, ein bekannter finnischer Filmschauspieler und Musiker – spielte öfter bei Kaurismäki mit – z.B. Hauptrolle in: „Der Mann ohne Vergangenheit“ und eine bemerkenswerte LP von vor einigen Jahren: „Buster Keatonin Ratsutilalla“ (2004), die mir seit ca. einem Jahr bekannt ist und die ich sehr mag (leider nichts brauchbares auf Youtube – heftig empfohlen trotz allem: „Pienet Pelinappulat“ or „Alaskan Avotulet“ – the whole thing)– ((wieder einmal muß ich an dieser Stelle bemerken, welche unvorhersehbaren und herzerfreuenden Zusammenhänge und Zufälle sich im Lauf dieser Recherche ergeben))..

Ihre Unterhaltung im Café -schrieb Juho- drehte sich darum, daß seine Freundin sich von ihm trennen und er ihr das ausreden wollte. Bei ihrer letzten „Unterhaltung“ über dasselbe Thema hatte sie ihn mit der linken Faust mitten ins Gesicht geschlagen und dabei leider ein paar kleine Knochen in der eigenen Hand gebrochen. -(wenn man aufmerksam das Foto betrachtet, sieht man den Verband)-. Jetzt lag in ihren Augen der Vorwurf, wieso sie ihm nicht wenigstens die Nase entzweigeschlagen habe – .. „aber was könne er dafür, daß sich seine Nase als stabiler als ihre mädchenhafte Faust entpuppt habe ?“, erwiderte er in Gedanken und sprach es auch durch seine Augen aus – ‚und wenn er schon dabei sei, könne er gern noch sagen, daß ihn an Frauen irgendwie immer besonders schmale Hände interessiert hätten. Gerade von ihnen – ihrer Feingliedrigkeit und Fragilität ginge eine so ungeheure Anziehung und ein komplett unwiderstehlicher Impuls aus .. ‚ – aber ich sollte vielleicht nicht Juho’s allereigenste Gedanken und Worte hier so öffentlich präsentieren .. er erwartet vielleicht, daß seine mir gegenüber gemachten Äußerungen nicht in alle Welt hinausposaunt werden .. – aber was getan ist, ist getan .. 3 Dinge lassen sich nicht zurückholen: ein ausgesprochenes Wort, ein abgeschossener Pfeil .. das dritte hab ich vergessen .. Entschuldigung. .. lassen Sie mich ausserhalb davon fortfahren .. –

Seine also unmißverständlich ab jetzt EX-Freundin sagte, er solle ihr sofort die Wohnungsschlüssel der ab sofort nicht mehr gemeinsamen Wohnung geben und er könne seinen Krempel im Keller abholen. Die Kapuze nahm sie die ganze Zeit nicht vom Kopf und genauso ging sie dann auch. Wir hoffen natürlich, sie treffen sich nochmal und Juho berichtet mir darüber.

Nachdem sie weg war, redete Juho laut eigener Aussage noch einige Zeit mit dem Besitzer des Cafés über das Film-Plakat „GILLETTE“.

Der erzählte, ohne sich unterbrechen zu lassen, er habe dieses Plakat gegen seine Grundsätze – die lauteten, niemals diese rote Fläche, -an der er einige Tage gearbeitet und experimentiert hatte, aus verschiedenen Rottönen gerade diesen herzustellen- von irgendwas unterbrechen und verletzen zu lassen – trotzdem oder vielleicht genau deshalb mitten hinein gesetzt. Auf der seit Jahren nichts hängen durfte. Aber auch mit einer Ahnung, diese leere rote Fläche würde genau darauf seit Jahren warten: daß irgendwas des Weges käme, sich über diese Grundsätze hinwegzusetzen.

Im Cinema Orion habe es seit Jahren keinen ernstzunehmenden und aufwühlenden Film gegeben, der ihn durch Titel und Plakat irgendwie angelockt und hingerissen habe .,. und wenn er trotzdem hingegangen sei, sei er ohne alle Inspiration und Leidenschaft und Katharsis wieder weggegangen ..

– aber dann sei eines Tages jemand mit diesem komischen Plakat gekommen .. bei dem praktisch alles falsch gemacht worden sei, was aus marketing-technischer Seite falsch gemacht werden konnte .. z.B. sei nicht mal der Regisseur des Streifens genannt worden .. die wichtigste Figur beim Film sowieso .. und dieser Gedanke genau habe alle negativen Erinnerungen an das Cinema Orion aus ihm herausgeblasen wie ein Tornado. – Denn er erzeugte die Überlegung, wieso alle Beteiligten trotzdem über all diese offensichtlichen Fehler und Mängel des Plakatentwurfs hinwegsehen konnten, um ihm ohne sich aufhalten zu lassen, so schnell wie möglich zum Druck zu verhelfen …

.. und was konnte das gewesen sein als .. bitteschön ?!!! ..

Und ganz genauso ging es eben ihm, als er es zu Gesicht bekam, .. und er habe dieses völlig verunglückte Plakat vielleicht gerade wegen seiner negativen Qualitäten an seine rote Café-Rückwand gehängt. Jeden einzelnen Tag, an dem er sein eigenes Café betreten habe, sei er als erstes vor die Wand getreten und habe es meditierend betrachtet, bis der erste unwillkommene und natürlich sehr durstige Gast eingetreten sei.

Irgendwie tragisch ergab es sich dann aber, daß der Film, als er sich eines Abends entschloss, hinzugehen, schon aus dem Programm genommen worden war. Man sagte ihm, in 3 Tagen habe er nicht mehr als 19 Zuschauer gehabt. Damit könne kein Kino überleben -also habe man es absetzen müssen.

Der finnische Café-Betreiber machte immer noch weiter und weiter: „.. Die ganze Sache erinnere ihn an seinen Aufenthalt in Paris .. wo er eine längere Zeit gewohnt habe – und zum Beispiel als Spüler in einem kleinen thailändischen Lokal in der Rue Tiquetonne, Metro Etienne Marcel, gearbeitet habe-. Eigentlich jeden Tag habe er dort irgendwann den Eiffelturm vor Augen gehabt – schon bei der Metro-Fahrt über den Pont de Bir-Hakeim aus Passy, wo er länger in einem „Chambre de Bonne“ wohnte –

Und immer habe er gedacht, daß er eines Tages den Eiffelturm hinauffahren würde .. ohne Zweifel eigentlich .. denn dieser Eiffelturm bewege sich doch nicht von der Stelle und gehe nirgendwohin .. „du kannst morgen oder übermorgen hingehen und er ist immer noch da“ – aber dann sei er am Ende selber eines Tages „irgendwohin“ gegangen und habe alle Wege die zu ihm führten verlassen ..

ein trauriges Kapitel .. noch eins ..

Alles, was ihm danach noch geblieben sei, sei eben nur noch dieses Plakat mit den hoffnungslos abgelaufenen Aufführungsterminen. Und er habe beschlossen, es dort hängen zu lassen und nicht davon abzulassen es morgends anzustarren und sich bereit zu machen, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit als 1. Zuschauer hineinzustürmen, wenn es wieder gezeigt werde.

– Ich kann hier an dieser Stelle nur alle, die das lesen, bitten, uns mitzuteilen, wo in der weiten Welt der Film gerade läuft. Wir würden diesem finnischen Café-Betreiber das sofort mitteilen und zweifeln nicht daran, dass er sich sofort ins nächste Flugzeug werfen würde, um sich auf die Reise genau dahin zu machen ..

 

___ english once again – but people: PLEEZE!! learn german – it is the language of Kleist, Novalis and .. – no need to say more

 

A friend from Finland sent me this photo he made in a Café in Kouvala, a little city in the south of Finland. When he entered the cafè, he saw at first a woman alone at a table and a film poster on the wall behind her. Immediately he remembers that he had seen a similar poster on our facebook-site twice, once at Rapallo, the other from Domodossola.

Before the woman under the hood noticed him, he had his mobile out and shot the photo. One moment later she turned her head and he recognized her.

By the way – before i forget it: the photo-senders name is Juho, and he is the son of Markku Peltola, a very well known actor and musician in Finland. He played the main role in the Kaurismäki film: „The man without a past“ and brought out a very nice LP with the title: „Buster Keatonin Ratsutilalla“ (2004), which i know and like very much since about a year .. Unfortunately nothing on Youtube… but i recommend it strongly. If you can, try to hear „“Pienet Pelinappulat“ or „Alaskan Avotulet“ from it. (( again i must say at this point, i do often wonder, in which unpredictable and heart-warming ways the coherences and coincidences between the people who got in contact with the poster intertwine in each other))

– But now back to the table: „It was“ -Juho wrote-, „a very difficult discussion“. She wanted to split up their relation and he was trying to make it work again and tried to express how sorry he feels for the bad luck that she broke some little bones in her left hand while hitting him hard in the face some days ago. (If you look sharply to the photo: what you see on her left hand is not a white fur glove but an aseptic dressing or bandage around it). In her eyes he saw the accusation, that it was always her, that got hurt in their relation, even when she was trying to hurt him for once without hesitating. He talked back (in thoughts of course, through his eyes) „.. what can i do about it, when my nose is more solid than your girly fist ?! .. and at last it had been particularly this womans hand made of fragility and delicateness that attracted him to her in the beginning .. but .,. maybe i shouldn’t publish these privately made comments or confessions he expected to be safe from the crowd here .. well .. what’s done is done .. you cannot hold back 3 things: an outspoken word, an arrow who had left the arch .. the third i have forgotten .. sorry ..

To shorten his story, i just need to say, that his now ex-girlfriend wanted his keys for their appartement and told him where in the cellar he could fetch his stuff. During all this she never put down the hood from her head. After she got what she wanted, she left the café and now he sat there alone at the table, the film-poster with „Gillette“ on the red wall above his head.

Suddenly he realized that all the announced performance dates of the film where far away in the past – but not only because of this he started a conversation with the coffeehouse owner – well in fact it was more likely a covert interrogation.

But this one didn’t needed to be punished to talk about the matter.

He said he hanged this poster up on his red wall against all his principles. This principles were simply enough – that he will not allow anything to wound or violate this surface of colour – which to prepare he used many and many buckets of red and white paint experimenting and changing the quantity of the ingredients from day to day and night to night and hour to hour.

But nevertheless he knew deep inside – as a notion, a suspicion- that this wall is waiting for something astonishing enough to break the rule.

At the Cinema Orion in Kouvala, he said, there wasn’t anything interesting or soul-stirring in years. He gave up going there.

But then one day, someone from this sunken-into-oblivion-cinema came by and brought the poster of „GILLETTE“. A poster, in which the responsible graphic-guy did all wrong what there is to do wrong. – For example, there isn’t the name of the director on it – the most important figure in every film. Nor one of the producer, the music-composer, .. we even didn’t get to know from which country it comes or any information, biography or origin of the main actress and the male opponent .. or anything at all ..

Over all this non-information he got the intuition, to ask himself, why in the world all the participants in a highly expensive film-production like this could oversee the flaws and errors of the marketing and printing section .. and couldn’t think of anything else than to have it printed as quick as possible.

And him — he understood and could comprehend the reasons at once ..

He felt for them equally and voluntarily all the same.

He put up the poster on his virgin red wall and every morning when he came in, he stood in front and meditated until the first unasked but thirsty guest came. –

Somehow tragic the whole thing goes, after he really went to the Cinema Orion one evening, closing his Red Café for „Extraordinaire Reasons“ („..he really did made an handmade poster especially for this .. and he showed it to me ! .. maybe i will send it to you one day“ – Juho wrote.. (-YES, Juho, we hope so!-) Tragic because at the Cinema Orion there wasn’t any poster of „Gillette“ in front, and when he asked, they said, the film did reached just 19 visitors in his first 3 days and they had to shut it down and put another one up to survive.

After a short break the finnish coffee-house owner continued talking. He said, „the whole thing resembles at a time in my life while i was living in Paris and always thought, one day for shure i will go up the Tour Eiffel .. i worked as a dishwasher in a tiny little Thai-Restaurant in the Rue Tiquetonne, Metro Etienne Marcel .. lived in a chambre de bonne in Passy .. was walking to the Trocadéro quite often .. and crossed the Seine on the bridge Pont du Bir-Hakeim every day .. always there was the Tour Eiffel right in front of my eyes .. and i thought, there he is .. one day i will be on top of it .. i can visit him tomorrow or the next week .. he still will be there …. he cannot run away .. „-

but then one day happened, he himself was leaving Paris and there weren’t any ways anymore to get up the Tour Eiffel .. with the Film-Poster it was quite this ..“

All what was left, was the piece of paper with the hopeless bygone performance dates – and he decided to let it hang there on the wall until he hears that the film is showed again .. —

At this point i request everyone who reads this, to tell us wether the film is to be seen on a big screen anywhere in the world. I personally guarantee, that we would give the finnish coffee-house owner the note immediately. We think he will threw himself into the next plane and find his way through the air to this other „Tour Eiffel“ of his. – All the best to him.

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